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Eric

Die Engeleinflugschneise war ganz eindeutig nicht die Reinsburgstraße. In der Reinsburgstraße standen die Mietshäuser dicht an dicht und das einzig Grüne war die Papiertonne im Hinterhof. Hier dagegen wohnte man im Eigentum, in freistehenden, hochherrschaftlichen Häusern von der Größe alter Dorfschulen, an deren Klingeln nur ein Name stand, oder in runden, organischen Häusern, die bestimmt nach Bauplänen aus dem Handbuch „Architektur für Anthroposophen“ gebaut worden waren und die bei der nächsten Sintflut auch als Arche Noah taugen würden. Zwischen den Häusern war viel Platz und viel Grün.

Eric M. Hollisters Heim lag am Ende der Schellbergstraße und gehörte zur Sorte der alten Häuser, fiel jedoch etwas aus dem gepflegten Rahmen. Kein Wunder, dass Eric sich als Hedonist bezeichnete. Der Garten war völlig verwildert und hätte eher zu Dornröschen gepasst als zur Uhlandshöhe. In einer Ecke standen ein paar verrostete Gartenstühle verloren um einen moosbewachsenen Brunnen herum. Mir gefiel es. Es hatte etwas Verwunschenes, Romantisches. In meiner Magengegend begann es zu kribbeln.

„Eric M. Hollister, PhotoART“ stand auf dem untersten der drei Klingelknöpfe. Ich drückte auf die Klingel. Wenig später stand Eric in der Haustür und winkte. „Das Törchen ist offen, komm‘ einfach rein.“ Trotz der winterlichen Kälte trug er ein kurzärmeliges blaues T-Shirt, auf dem „Columbia University“ stand. Das mit den schnuckeligen Oberarmmuckis war keine Einbildung gewesen. Er trug sein langes Haar offen, den Bart kurz und stoppelig und die Augen kajalumrandet.
„Welcome on the Holy Hill!“ rief er aus, legte die Handflächen gegeneinander und verbeugte sich.

Ich war ein bisschen unsicher, wie ich reagieren sollte. Ich verspürte ein unglaubliches Bedürfnis, mich an seiner Wange zu reiben, ihm in den Hintern zu kneifen und durch seine Haare zu fahren. Kurz: Das fing schlecht an. Sehr schlecht. Ich zwang meinen Arm robotermäßig in einen rechten Winkel, um Erics Hand zu schütteln. Eric übersah die Hand rein zufällig und streifte meine linke und rechte Wange mit einem Kuss. Er roch nach Moschus. Vor meinem geistigen Auge tauchte die Jurte in der inneren Mongolei auf. Meine Knie zitterten.

„So good to see you!“ Eric M. Hollister lächelte mich an. Er grinste nicht wie Leon. Er lächelte ein weltoffenes Lächeln, irgendwie sophisticated. Eben ein Mann von Welt, nicht so ein Hamburger Provinzler.

Eric nahm mir den Mantel ab und führte mich in ein riesiges Wohnzimmer. Mir blieb der Mund offen stehen. Hier sah es aus, als hätte sich eben die Schöner Wohnen-Beratung „Ethno-Look“ verabschiedet. Ich registrierte hohe Decken, Stuck und mannshohe Fenster zum Garten hin. Überall hingen schwarz-weiße Fotos. Fotos von dunkelhäutigen Frauen mit riesigen Ohrringen, von einer lachenden Horde Kinder in Schuluniform, die auf dem Dach eines Busses saßen, von ernst dreinblickenden Menschen mit Wasserbüffeln in einem Reisfeld. Außerdem gab es balinesische Masken, Elefanten aus Elfenbein, Buddha-Statuen und einen kleinen Altar, auf dem Räucherstäbchen brannten. In den Regalen stapelten sich schwere Bildbände. Die Möbel waren dunkel und schwer und sahen antik aus, bis auf einen edlen Schreibtisch mit einer Glasplatte, einem Apple-Computer, einem Drucker und Massen an Papierkram, CDs und DVDs. Der Schreibtisch wirkte ein bisschen hedonistisch. Alles andere war sehr aufgeräumt und geschmackvoll arrangiert, und es gab keinen Zweifel: Eric M. Hollister war nicht nur ein Abenteurer und Weltenbummler, er hatte auch Geschmack. Im Hintergrund lief etwas Jazziges. Eigentlich konnte ich mit Jazz nichts anfangen, aber hierher passte es.

„Setz‘ dich doch. Ich mache uns Tee.“ Eric machte eine Handbewegung hin zu einem Berg aus riesigen orientalischen Kissen, die auf dem Boden lagen. Very Wüstenscheich. Wie Erics Aufzug bereits hatte vermuten lassen, war es in seiner Wohnung sehr warm. Ich zog meine Winterstiefel und meine Vliesjacke aus. Mir war immer noch warm, aber mehr konnte ich zumindest zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausziehen. Entweder kam ich völlig überraschend in die Wechseljahre oder es lag an der Kombination aus Heizung, Kissen und Eric M. Hollister.

Wenige Minuten später kreuzte Eric auf, sein umwerfendes Lächeln im Gesicht und eine golden schimmernde und mit orientalischen Mustern verzierte Messingplatte in den Händen. Er stellte das Teetablett auf ein niedriges Holzgestell.

„Voilá. Tee aus Darjeeling, süße Kuchen aus Peking, Marzipan aus Toledo. Ach ja, und das Teetisch ist aus Marokko. Alles mitgebracht.“ Er strahlte vor Stolz. Ich strahlte zurück. Dieser Mann war auf den sieben Weltmeeren zu Hause und konnte seinen Tee selber zubereiten! Dieser Mann war ein Mann für mich!

Wir machten es uns auf den Kissen bequem und Eric goss Tee in hauchdünne Porzellanschälchen. „Shanghai“, sagte er triumphierend. Ich nickte begeistert und stellte das Schälchen mit Schwung ab, nachdem ich einen Schluck genommen hatte. Der Tee schwappte auf die Messingplatte und setzte die chinesischen Kuchen unter Wasser.

„Oh, das tut mir aber Leid! Ich hole schnell einen Lappen.“
„Aber nein, das ist doch nicht nötig, ich gehe schon!“
Ich war aber längst aufgesprungen und lief in die Küche. Hier sah es natürlich auch aus wie bei „Schöner Wohnen“. Ich sah mich suchend um und entdeckte über dem Wasserkocher einen Halter mit Küchentüchern. Da lag aber noch etwas. Komisch. Kaufte man den original Darjeeling in Indien in Beuteln, und auf der Packung stand „Teekanne“?

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